Rasen
Es ist so weit: Die Rasenmäher können aus der Garage geholt werden. Vor allem samstags ertönen wieder die Motoren von Bohrmaschinen, Stichsägen, Rüttelmaschinen, Rasentrimmern und Hammerschläge. Gemeinsam mit den zahlreichen Nachbarn stimme ich mit ein, in eine nahezu nicht endende Kakophonie der privaten Geräteparks. Erst wenn die Zeit der Sportschau naht, kommt die verdiente Ruhe am Wochenende zu ihrem Recht. Dass diese Regelung weitgehend eingehalten wird, weiß ich sehr zu schätzen.
Das Grün, das mit viel Aufwand und Akribie kurzgehalten wird, scheint reine Männersache zu sein. Der Bekämpfung des heimischen Löwenzahns hingegen, widmen sich eher die Frauen. Konsequent wird er ausgestochen, damit eine makellose, kurz geschorene, teppichflorgleiche Rasenfläche entsteht.
Aber was hat es mit diesen merkwürdigen Ritualen rund ums Rasenmähen auf sich? Zufällig stieß ich in dem Buch „Homo Deus“ von Noah Youval Harari, Vlg. C.H. Beck 2018 auf das Kapitel „Die Geschichte des Rasens“, was mir einige Aha-Erlebnisse bescherte:
Im späten Mittelalter verfiel die englische und französische Aristokratie darauf, vor ihren Schlössern Rasenflächen anzulegen. Dies galt zunehmend als Statussymbol, denn ärmere Bauern beispielsweise konnten sich so etwas nicht leisten. Boden und Land waren als Grundlage für die Ernährung der Familie überlebenswichtig.
Die Rasenflächen jedoch mussten mit viel Aufwand gepflegt werden, zumal es noch keine Rasenmäher gab (wie haben die das gemacht?). Im Gegenzug bot der Rasen, vom Prestigegewinn mal abgesehen, eigentlich nichts: Er war arm an Pflanzen und er eignete sich nicht mal zur Beweidung. Ab und zu gab man einen Empfang oder feierte ein Jubiläum mit geladenen Gästen. Ansonsten war das Betreten des Rasens ausdrücklich verboten. Das Machtsymbol, des gepflegten Rasens wurde in späterer Zeit übernommen. Repräsentative Residenzen, Gerichtsgebäude, Parlamente und andere öffentliche Gebäude wurden mit grüner Monotonie eingefasst.
Auch in der Welt des Sports hielt der Rasen Einzug. Jahrtausende lang spielten Menschen auf Untergründen jeglicher Art. So mancher Fußballstar erwarb sich sein Können noch als Straßenkicker etwa in den Favelas von Rio, wo mit behelfsmäßigen Bällen im Sand und Dreck gespielt wurde. Doch getrimmte Rasenteppiche findet man in erster Linie dort, wo das Geld zu Hause ist: Golf, Profifußball, Tennis.
Im Zuge des anwachsenden Wohlstands konnten sich immer mehr Bürger der Mittelschicht den Luxus eines ´Englischen Rasens` leisten und bewegten sich rein äußerlich mit Bankiers, Anwälten oder Industriellen auf Augenhöhe. Ein vernachlässigter Rasen im Vorgarten jedoch bedeutete: Hier stimmt etwas nicht! Wenn jemand etwas auf sich hielt, musste der Rasen gepflegt aussehen. Und so traten entsprechende Rasenflächen weltweit ihren Siegeszug an. In Wüstenstaaten wie Katar werden unglaubliche Mengen kostbaren Wassers für die repräsentativen Grünflächen verwendet. Im trockenen Süden Kaliforniens hat man das Bewässern aufgrund von Wasserknappheit stark eingeschränkt, dafür färben jetzt viele den vertrockneten Rasen grün. Und hier, in unserem Kulturkreis, gehört ein ganzes Pflegeprogramm zu einem Vorzeigerasen: Moos und Unkraut entfernen, düngen, säen, kalken, Sand oder Humus ausbringen, vertikutieren, mähen und wässern. Dein Gartencenter dankt es dir.
Ich finde Harari fragt in seinem Buch zu Recht, ob es nicht an der Zeit sei, die kulturelle Last, die man sich aufbürdete, um es Herzögen und Multimilliardären gleichzutun, abzuschütteln. Die Folgen wären weniger Lärm, weniger Abgase, mehr Lebensraum für artenreiche Flora und Fauna und mehr Muße und Zeit für sinnvollere Tätigkeiten.
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