Waldlauf

Ich weiß, es fällt eher schwer „so viel“ Text am Computer zu lesen. Es geht hier um eine autobiographisch gefärbte Erzählung, die ich mir im Jahr 2005 ausgedacht habe. Als zusätzliche Motivation diese Geschichte zu lesen, soll folgendes dienen:

Diese spannende Erzählung beinhaltet einen gravierenden sachlichen Fehler. Wer diesen Fehler erkennt und mir über die Kommentarfunktion benennt und mitteilt,  gewinnt eine Einladung zu einem Eis (alternativ: Bier, Kaffee) im Café Augenweide in Odernheim zusammen mit (und das ist der Hammer!) dem verantwortlichen Redakteur und Autor der Geschichte. Zum Öffnen der Kommentarfunktion bitte doppelklicken auf der obersten Überschrift des betreffenden Beitrags! Unterhalb des Artikels öffnet sich dann ein Fenster.

WALDLAUF

Wie nahezu jedes Wochenende bereitete er sich vor: Auf seinen Waldlauf. Es war warm: Kurze Hose und ein Träger-Laufshirt reichten (Tanktops mochte er nicht). Er klickte sein Funktionsmodul an die diskret angebrachte Minikanüle und band sich sein Display ums Handgelenk. Schon seit langem hatten die handlichen Click-Chips die Pulsuhren abgelöst. Er hatte sich aber erst vor kurzem von der geliebten alten Technik, die noch mit dem guten alten Brustgurt funktionierte, trennen können. Mit dem Auto fuhr er zu dem Aussiedlerhof, wo er – damals noch mit Familie – fünf Jahre lang gewohnt hatte. Seinen wöchentlichen Waldlauf dort hatte er aus der Zeit beibehalten. Traditionell lief er die Strecke jetzt seit 16 Jahren. Wie gewohnt parkte er an der Feldscheune, die den Start seines geliebten Rituals markierte. Die Sonne schien. Eine Idylle aus dem Bilderbuch: Friedlich grasende Pferde, unbeschwertes Flöten eines Pirols in einer der Baumkronen und ein gelangweilt Richtung Dorfweiher trottender Hund. Ab und an hörte man entferntes Dröhnen eines Überlandjets. Ein vorbereitendes Dehnprogramm am Auto: Es sah aus, als wolle er sein Fahrzeug wegschieben. Es war aber nur die Wadendehnung, bei der er sich gegen das Auto abstützte. Die Waden waren sozusagen seine Achillesferse. Er ließ die Autotür ins Schloss fallen, sein Click-Chip piepte kurz, und los ging es mit rhythmischen Schritten auf den Feldweg, am Wald entlang. Ausreichend getrunken, fühlte er sich passabel in Form. Er passierte eine allein stehende Birke, deren Grün sich wohltuend vom trockenen und schon bleich wirkenden Kornfeld abhob. Der Feldweg führte geradewegs in den Wald hinein. Er liebte die hoch gewachsene Lärche mit den weichen Nadeln, die inmitten der Laubbäume stand und in den blauen Himmel ragte. Sein Puls war jetzt auf Betriebsniveau, wie ein kurzer ´Piep` ihm bestätigte. Der Weg stieg leicht an und ein paar Pfützen vom gestrigen Gewitter umkurvte er dynamisch. Vor Jahren hatte er an die inflationär durch den Wald preschenden Autofahrer noch selbst gefertigte Protokolle verteilt:

Lieber Autofreund !

Sicherlich, würden sie sich auch als Freund der Natur bezeichnen !? Aber hier muss ich sie korrigieren. Dies ist ein Widerspruch !

Denn: Autos haben im Wald NICHTS !!! zu suchen.

Wenn sie ein Fußballspiel besuchen, parken sie doch auch vor und nicht im Stadion. Bei einem Theaterbesuch fahren sie auch nicht bis in den Zuschauerraum oder gar auf die Bühne. Wenn sie schon die erholsame Ruhe (die noch da war, bevor sie mit ihrem Fahrzeug ankamen) des Waldes aufsuchen, warum nicht von Anfang an. Parkmöglichkeiten gibt es am Waldrand genug.

Sie (zer)stören die heilsame Sphäre des Waldes ! Als wenn es nicht genug asphaltierte Straßen gäbe? Ich freue mich, hier den Autos und dem Straßenverkehr entfliehen zu können. Als Pendler verbringe ich viel zu viel Zeit auf überfüllten Autobahnen und muss als Anwohner einer Bundesstraße mit dem dortigen Verkehrslärm leben. Deswegen, und das werden sie jetzt besser verstehen, reagiere ich allergisch, wenn mich Autos bis hierhin verfolgen, einem Refugium, in dem Abgasschleuder nichts zu suchen haben .

Also tun sie mir das nächste Mal bitte den Gefallen, lassen sie ihr Auto vor dem Wald stehen und genießen sie (von Anfang an), was er ihnen bietet und vernichten sie es nicht.

Mit freundlicher Empfehlung

B.G.

Er hasste es einfach auf seiner Waldlaufstrecke Autos zu begegnen. Er hasste die ausgeprägte Autokultur schlechthin und konnte es nicht nachvollziehen, wenn „Ralleyfreaks“ einen stillen Ort im Wald aufsuchten, um sich hier laut mit Technohits zuzudröhnen. Auch wenn er nicht an irgendeinen Gott glaubte. Dies war für ihn eine Form von Blasphemie und sein Waldlauf war ihm „heilig“.

Im Winter, wenn es mal geschneit hatte, waren die Wege immer schon von Reifenabdrücken gespurt. Was ja manchmal durchaus angenehm war, weil man besser laufen konnte. Aber die Vernunft bzw. die Notwendigkeit hatten sich inzwischen durchgesetzt: Jetzt herrschte absolutes Autoverbot im „Sauerstoffspender 1. Güte“, wie der Wald jetzt hieß. Er hatte höchste Schutzwürdigkeit erhalten und ein Autofahrer, der erwischt wurde, stand kurz vorm Führerscheinentzug. So hatte er es sich immer gewünscht. Jetzt bog er an einem Warnschild in einen Hohlweg, musste konzentriert auf die Unebenheiten des schmalen „singletrails“ achten und durfte sich nicht ablenken lassen von der Lichtung, die hell, mit verführerischen Farben durch das dunkle Laub schimmerte. Wenn ihm hier etwas passierte würde keine Versicherung etwas zahlen, wie seine Freunde ihm immer wieder vorhielten. Vor Wochen waren noch zwei Kinder, die sich trotz, der in den Medien ständig präsenten Warnungen auf das Feld hatten locken lassen regelrecht erstickt. Auch er spürte, dass die Luft dünner wurde und drosselte das Tempo, sein Click-Chip, der ja seine Blutwerte direkt auswertete und kontrollierte, blieb ruhig. Die fluoreszierenden Farbspiele, der Blumen und Gewächse, denen er sich jetzt bis auf 20 Meter näherte, gehörten zu einer neuen Spezies, die sich in den letzten drei Jahren entwickelt hatte und rasant ausbreitete. Bisher hatte die fieberhaft forschende chemische Industrie noch kein wirkungsvolles „Pflanzenschutzmittel“ entwickeln können. Die Gewächse hingegen hatten eine nahezu hypnotisierende Wirkung entwickelt und man fühlte sich magnetisch angezogen. Es waren keine grellen Farben, wie die einer Neonreklame, nein, diese changierende bunte Vielfalt passte sich in die Landschaft ein. Wenn man sie sah, war der erste Gedanke: „Da muss ich hin, dass muss ich mir näher ansehen“. Die beiden Kinder wähnten sich möglicherweise im Paradies, doch es war ihr Verderben. Diese faszinierenden Pflanzen entzogen der Luft den Sauerstoff und machten dem Menschen zunehmend den Lebensraum streitig. Mechanische Vernichtungsversuche mit schwerem Gerät und sauerstoffversorgten Baggerführern waren kläglich gescheitert, so dass es plötzlich hieß: wir müssen mit dieser Gefahr umgehen lernen. Ausmerzen lässt sie sich zumindest derzeit nicht. Es wurden Sauerstoff-Werke gebaut, vor allem auf dem Land. Denn hier trat die Problematik gravierender zu Tage. In den Städten hielt sich das Ausmaß der Gefährdung in Grenzen, wenngleich die Ursache der wuchernden Botanikpest hier vermutet wurde. Da die O2-Werke neue Arbeitsplätze schafften, konnte die panisch einsetzende Landflucht gebremst werden. Mit dem Wachsen der Lobby der immer größer werdenden O2-Werke, empfanden manche Bevölkerungsschichten, die fatale Entwicklung schon als Segen. Es waren nicht wenige neue Arbeitsplätze entstanden. Mit leicht beschleunigtem Schritt entfernte er sich wieder vom lockenden Leuchten der Lichtung und seinem unheimlichen Bewuchs. Seine Strecke führte jetzt zu der lang gezogenen Steigung, die für ihn immer ein Gradmesser seiner Fitness war. Seine Muskeln waren nicht ganz locker und fühlten sich nicht ganz so geschmeidig an wie vergangenes Wochenende, als er Jahresbestzeit gelaufen war. Plötzlich hörte er ein rasch näher kommendes Motorengeräusch. Ein Wabern und Wummern, mit zunehmend beängstigender Lautstärke strich flach über die Baumkronen hinweg. Ein kleiner wendiger Helikopter setzte, nicht weit von ihm entfernt, zur Landung an. Er erinnerte sich, dass in der Nähe vor einem halben Jahr ein Hubschrauberlandeplatz eingerichtet worden war und wunderte sich noch, dass er nicht militärischen Zwecken dienen sollte. Er setzte seinen Lauf ohne Unterbrechung fort und hatte die störenden Geräusche schon vergessen, als er unvermittelt drei Sanitäter in Warnjacken vor sich auftauchen sah. Sie signalisierten ihm, stehen zu bleiben. Ohne dass er Zeit gehabt hätte sich zu wehren, wurde er auf eine Bahre gedrückt. Ruck-Zuck wurde sein Click-Chip gegen einen Infusionstropf ausgetauscht. Ehe er sich versah, lag er angeschnallt im Hubschrauber und zwei der drei Männer wirkten mit professioneller Pädagogik beruhigend auf ihn ein. Nun fiel ihm ein, dass sein Funktionsmodul mit einem Sender ausgestattet war und die Daten direkt an das nächstgelegene zentrale Krankenhaus übermittelt wurden. Irgend etwas musste passiert sein. „Was ist denn los ?“, fragte er einen der beiden Ersthelfer.

Kein Grund zur Besorgnis“

Später stellte sich heraus: Sein Click-Chip hatte fehlerhafte Daten (einen bedenklich hohen Bikarbonatwert) an die Zentrale übermittelt. Nach eingehender Untersuchung war er wieder entlassen worden. Er hatte sich höflich bedankt, war erleichtert wieder nach Hause zurückgekehrt, ging ins Bad, entfernte vorsichtig die Kanüle und entsorgte sie mitsamt Click-Chip in der Restmülltonne.

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