Die Kinder tun nichts recht gut, als was sie gerne tun, wobei sie ihre Seelenkräfte am besten entwickeln. Hieraus folgt, dass man alles, was sie lernen sollen, so einrichtet, dass sie es gerne tun.
Friedrich August Wolf (1759 – 1824), deutscher Pädagoge, stand in Verbindung mit Goethe, W. v. Humboldt und Schiller (Quelle: Aphorismen.de)
Die Abschaffung der Bundesjugendspiele ändert am Leistungsprinzip in der Schule nichts. Ein oder zweimal im Jahr durchgeführt, haben sie ohnehin nicht die Bedeutung, die man ihnen beimisst. Der Leistungsgedanke und andere als Konkurrenten zu sehen ist den Kindern jedenfalls nicht in die Wiege gelegt. Er wird nach meiner Erfahrung anerzogen, wie es sich für eine kapitalistisch geprägte Leistungsgesellschaft gehört. Was sagt es über unsere Gesellschaft aus, dass wir „Ehrgeiz“ als positiv besetzten Begriff handhaben? Widerspricht es nicht dem Fairplay-Gedanken, wenn man um die Ehre geizt?
Beim Sportabzeichentag des TVO letzte Woche (vergleichbar mit den BJS) konnte man Motivation und die Bewegungsfreude der Odernheimer Grundschulkinder beim Laufen, Werfen und Springen hautnah miterleben. Ein Vergleichen der Leistung spielte nur eine untergeordnete Rolle. Im Vordergrund stand m. E. die Neugierde und Lust auf neue Bewegungserfahrungen. Mit einer eindimensionalen Betonung der gemessenen Leistungen richtet man eher Schaden an (mit unten angeführten Folgen), so dass ich eine Abschaffung der Bundesjugendspiele nachvollziehen kann. Aber, warum fragt man die Kinder eigentlich nicht selbst, ob sie die BJS abschaffen oder beibehalten wollen? Es wäre die Gelegenheit gewesen Mitbestimmungsrechte von Kindern mal in die Praxis umzusetzen.
Den Schulen wird unterstellt sie würden Leistung nicht mehr einfordern, deshalb gingen die Deutschen bei Medaillenvergaben vermehrt leer aus. Diese Behauptung geht komplett am eigentlichen Dilemma vorbei. Nicht die fehlenden Medaillengewinner sind das Problem, sondern die vielen jungen Menschen, die nach Beendigung der Schulzeit nur Negatives mit dem Sport verbinden und keinerlei Veranlassung verspüren sich weiter sportlich zu betätigen. Allein der Geruch eines Umkleideraums reicht vielen schon, um Sporthallen und –plätze zu meiden.
Die Journalisten-Plattform „Krautreporter“ führte eine Umfrage zu den Erfahrungen im Schulsport mit 5000 Teilnehmern durch. Das Ergebnis: „viele traurige und schockierende Geschichten“. Mehr als 80 Prozent der Teilnehmenden gaben an, ihre Erfahrungen im Sportunterricht hätten dazu beigetragen, dass sie noch immer nicht gern Sport treiben. (Quelle) https://www.spektrum.de/news/sportunterricht-was-laeuft-schief-im-schulsport/2019676
In den Grundschulen zeigt sich noch nichts von dieser Problematik. Hier trifft man eher auf den Umstand, dass es trotz des Bewegungshungers in diesen Altersklassen keine tägliche Sportstunde gibt. (Die berechtigte Forderung danach wurde schon vor 120 Jahren gestellt.) Im Gegenteil: Sport fällt wesentlich häufiger aus als andere Fächer. Ein Grund dafür: In Kitas und Grundschulen stellen Frauen die Mehrzahl des pädagogischen Personals. Nachweislich haben Frauen eine wesentlich geringere Affinität sich sportlich zu betätigen, als Männer. Quelle: https://www.frauenrat.de/wp-content/uploads/2017/07/CEDAW-Hintergrundpapier-Sport-und-Geschlecht.pdf.
Eltern, KitaerzieherInnen und LehrerInnen sind die Vorbilder, auch wenn es um Bewegung geht. In der Regel erleben Kinder ihre Bezugspersonen hauptsächlich sitzend, stehend oder liegend. Dazu kommt eine echte Bewegungsverarmung in unserer Gesellschaft schlechthin. Es fängt an mit dem Elterntaxi zur Schule und endet damit, dass beispielsweise Tanz nur noch ein Schattendasein in unserer Kultur fristet. Wie bekannt, hat dies gravierende Folgen für die Gesundheit unserer Gesellschaft, die dazu mit enormen Kosten verbunden sind.
In den weiterführenden Schulklassen, wenn auch die Pubertät vermehrt eine Rolle spielt, kommt der Umstand hinzu, dass jeder sehen kann wie man sich bewegt. Dies wird u.U. auch noch mit Noten bewertet. Wenn sich dann andere über einen lustig machen, ist das ziemlich gnadenlos und kann traumatisierend sein. In den theoretischen Fächern passiert dies nicht so. Schlechte Noten kann man leichter für sich behalten und man steht in diesem Moment nicht im Fokus der gesamten Klasse.
Die Thematik beinhaltet viele Aspekte und es lohnt sich über die Bundesjugendspiele hinaus zu denken, um dann folgerichtige Schlüsse daraus zu ziehen.